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Indien - Asien

Reise durch Nordindien im Jahr 1979

Ein Fakir beim Pushkar Mela
Ein Fakir beim Pushkar Mela
Dieser junge Mann ist nicht etwa ein Frommer auf der Suche nach seinem "Seelenheil", sondern, ganz profan, auf der Suche nach Rupien und Paisas.

Das Pushkar Mela, Kartik Purnima oder Camel Fair

Es ist heute der erste Festtag und es herrscht ein reges Kommen und Gehen.
Sitzplätze in einem der Zubringer-Busse zu erhalten ist während dem Kartik Purnima unmöglich.
Pushkar ist kaum mehr wieder zu erkennen. Am Bushalteplatz Teeverkäufer an Teeverkäufer. Am Weg liegen weiß bemalte Bettler mit seltsam verrenkten und verstümmelten Gliedmaßen.
Dann eine Szene wie aus einem Horrorfilm.
Ein etwa fünfjähriger Junge in einem kleinen Wägelchen. Auf dem Kopf, über den entsetzten Augen, eine Krone aus Goldpapier. Die Beine und Hände mit blutigen, schwarz verdreckten Binden zugeschnürt. Es sieht fast so aus, als hätte man dem Kind die Finger abgeschnitten. Geschoben von einer auf dem Boden kriechenden Frau, die ständig Klagelaute ausstößt, schreitet ein Erwachsener nebenher und sammelt von der ehrfürchtigen Menge, die das Kind für eine Inkarnation Shiva´s oder Brahma´s hält, Spenden ein. Die Stimmung der Menge ist fanatisch, ja aggressiv.
Zunächst müssen wir für eine Unterkunft sorgen. Vor unserem ehemaligen Hotel ist der Treffpunkt der Weißen, Auto- und Rucksackreisende. Eine Teestube und Zelte sind während der Pushkar Mela aufgestellt, in denen es Schlafplätze zu mieten gibt, aber wir kommen nach einigem Hin und Her für 6 Rupien (1,30DM) pro Nacht auf dem Dach eines Privathauses im Ort unter. Es ist bereits Abend und wir können uns ohne Angst vor Dieben, welche natürlich auch von diesem Trubel angelockt werden, zur Ruhe legen.

Ein Kamel steht zum Verkauf
Eines der zum Verkauf stehenden Kamele. Nicht ganz zu Unrecht nennen die Engländer das Pushkar Mela auch Camel Fair.

Viehmarkt und indischer Rummel

Am nächsten Morgen in aller Frühe erkunde ich den Festplatz der Pushkar Mela.
Zuerst gehe ich auf den weitläufigen Camel-fair, wo sich die rajestanische Landbevölkerung aufhält. Die Männer mit roten, gelben und weißen Turbanen, deren Farbe eine symbolische Bedeutung hat. So ist Rot z.B. die gute glücksverheißende Farbe, Grün ist die Farbe der Trauer, diese ist allerdings nicht zu sehen, da Trauernde sich ein Jahr lang aller Vergnügungen enthalten müssen.
So weit das Auge reicht, eine riesige Zahl an Nutzvieh. Nicht nur Kamele, wie der Name suggeriert, sondern auch Rinder, Pferde und Esel, der Camel-fair ist also eher allgemein ein Viehmarkt der Bauern. Dennoch ist der Name berechtigt, denn die Kamele sind am Eindrucksvollsten. Ich erkundige mich, ein gutes Reitkamel kostet 2500-3000 Rupien (damals etwa 550,- bis 670,- DM). Ich halte das für einen realistischen Preis, denn sicherlich erwartet mein Auskunftgeber von mir nicht, daß ich sein Kamel kaufe, um damit nach Hause zu reiten.
Es ist noch früh am Tag und manche Händler geben ihren Kamelen mit der Schere den letzten Schliff. Sehr viele Tiere sind bemalt, die Zugochsen tragen bunte Hörner, ein Kamel sehe ich sogar, dem ein richtiges Reliefbild ins Haar rasiert ist, vermutlich um einen höheren Preis zu erzielen.

Riesenräder im Vergnügungspark während des Pushkar Mela
Riesenräder im Vergnügungspark während des Pushkar Mela

Ich lenke meine Schritte zum Vergnügungspark.
Hier hält sich hauptsächlich die städtische Bevölkerung auf.
Die Schausteller haben zwei Riesenräder, die beide nicht sehr vertrauenerweckend aussehen, aufgebaut. Zirkusbetreiber mit ihren aufgestellten Zelten, Los- und Schießbuden dürfen natürlich auch nicht fehlen, sogar ein Todesfahrer hat eine Wand errichtet, die er mit dem Motorrad befährt. Überall dröhnen Lautsprecher und erklingt indische Schlagermusik - während der Pushkar Mela scheint die Rupie lockerer zu sitzen als sonst.
Es ist ein Rummel wie auf einem deutschen Schützenfest, nur nicht so modern, dafür aber viel billiger.
So langsam meldet sich mein Magen und ich gehe in den Ort, wo ich als Frühstück Lassi trinke und mich etwas ausruhe bevor ich mich wieder auf den Weg zum Viehmarkt mache. Auf dem Weg dorthin Schlangenbeschwörer und ein "Asket" der auf einem Bett aus Dornenzweigen "schläft", dabei jedoch genau auf die hingeworfenen Paisa-Geldstücke achtet.
Dann ein Schock, ein Bettler mit entsetzlich entstelltem Gesicht.
Ich mache einen kleinen Umweg über das "Peacock Village", ein Zeltdorf der "besseren Gesellschaft", in dem die Übernachtung stolze 80 Rupien kostet. Während der Pushkar Mela beherbergt und verköstigt das Zeltlager auch ein paar Dutzend organisierte westliche Touristen.

Zebu Zugochsen mit bemalten Hörnern
Diese gewaltigen Zugochsen mit bemalten Hörnern gehören zur Rasse der Zebu-Rinder. Bemalte Tiere kann man allerdings nicht nur auf dem Pushkar Mela finden, sondern man sieht sie überall in Indien.

Auf dem Viehmarkt herrscht jetzt reges Treiben. Kamele und Pferde werden Probe geritten, Ochsen begutachtet, es wird gehandelt und gefeilscht.
Indische Zahnausreißer warten auf einem ausgebreiteten Tuch auf ihre Opfer, ein paar reiche westliche Pauschaltouristen gehen, genau wie ich, auf Fotojagd.
Dazwischen einige Zelte in denen Tee ausgeschenkt wird. In einem davon lasse ich mich nieder und esse von dem Zuckerrohr, das mir ein rajasthanischer Bauer anbietet. Ungewöhnlich ist, daß die Leute würdevoll und nicht neugierig sind, wird man in den Städten doch sonst überall nach allem Möglichen und Unmöglichen gefragt.
Je abgelegener diese Städte sind, desto häufiger, ja dort ist es nicht ungewöhnlich, daß sich gar Leute vor einen auf die Straße stellen und Grimassen schneiden. Mehr als einmal habe ich zu meiner Befriedigung auch erlebt, daß Shiva die Neugierigen bestrafte, indem er sie vor lauter Glotzen gegen eine Laterne oder sonst ein Hindernis laufen ließ.
Mittlerweile habe ich einfache Redewendungen und die Zahlen in Hindi gelernt und bestelle Tee, nicht ohne vorher zu fragen, was der koste.
"40 Paisa!" antwortet der Wirt, da uns alle verstehen können, ich gebe ihm eine Rupie und warte auf den Tee und das Wechselgeld.
Der Wirt aber ist geschäftstüchtig und bringt nur 50 Paisa Wechselgeld. Das sei "Special-Tea" und der koste 50!
So nicht! Ich verfolge ihn an die Theke und verlange meine 10 Paisa.
Die Aufmerksamkeit aller ist auf uns gerichtet und da er nicht als Schlitzohr dastehen will, rückt er die 10 Paisa raus.
Das bringt mir die Anerkennung des Publikums.
Nach dem Genuß des Milchtee's verabschiede ich mich von den Bauern und sehe mich weiter um. Jede Nutztierart konzentriert sich an bestimmten Plätzen. Am zahlreichsten sind schon Kamele, aber auch Wasserbüffel und Zugochsen gibt es viele. Abgesondert und mit Matten vor der Sonne geschützt werden Milchkühe, Schafe und Geflügel verkauft.
Ich bin müde und begebe mich nach Pushkar zurück, setze mich dort auf die Stufen eines Tempels, der von teuer bekleideten Leuten frequentiert wird. Vor mir sitzen viele Bettler auf dem Boden, jedoch ohne mich zu belästigen. Nur ein verkrüppelter Junge will ein paar Paisa, die er bekommt, sowie ein Kerl der mir Haschisch andrehen will und leer ausgeht. Sowas könnte ich in Rajasthan auch in den dafür lizenzierten Geschäften kaufen. Aber auch zum Alkoholverkauf braucht es eine spezielle Lizenz.
Bald begebe ich mich weiter zum Tourist Bungalow, wo ich nochmals Tee trinke. Langsam geht die Sonne unter, während ich mich mit anderen Reisenden über die Eindrücke unterhalte, welche die Pushkar Mela bis jetzt bei uns hinterlassen hat. Morgen ist der Höhepunkt und letzte Tag des Kartik Purnima und ich gehe früh schlafen.

Blick von unserer Unterkunft auf eine Gasse in Pushkar
So sah die Gasse vor unserer Unterkunft in Pushkar aus, als ich mich am Morgen über die Dachmauer lehnte. Aber wenn ich das Haus verlassen wollte, hatte ich keine Wahl...

Pilgerchaos in Pushkar

In dieser Nacht stieg Brahma in den See und die Pushkar Mela nimmt religiösen Charakter an. Am Morgen herrscht im Städtchen ein unbeschreibliches Gewimmel, man kommt kaum durch, die Menschen gehen dicht an dicht durch die engen Gassen. Tausende drängen zum See. In der Gassenmitte sind Seile gespannt, eine Seite ist für diejenigen, die vom See kommen, die andere für uns, die wir zum See geschoben werden. Pushkar hat normalerweise 3000-4000 Einwohner, heute sind 30000-40000 Menschen hier. An den Gassenkreuzungen stehen ein paar völlig überforderte Polizisten, die mit ihren langen Schlagstöcken mal leichter, mal kräftiger auf die Menschenströme einprügeln, um die Masse zu lenken.
Als Europäer bekomme ich nichts ab.
Mein eigentliches Vorhaben, irgendwo eine Lassi zu trinken, ist völlig unmöglich und ich werde mit zum See geschwemmt - ob ich will oder nicht. Sooo interessant sind die Gläubigen, die sich ins Wasser des Sees stellen, um dann unter zu tauchen, aber nicht, es gibt hier auch kaum Platz und so reihe ich mich in die Schlange der Zurückströmenden ein.
Nichts wie raus aus Pushkar!
Auf dem Vergnügungspark gibt es endlich wieder Luft und ich verschlinge sogleich 8 Bananen zum Frühstück. Jetzt geht es mir wieder besser.

Sieben Inder auf einem Kamel
Das lustige Ratespiel: Wieviele Inder passen auf ein Kamel, bevor es zusammenbricht? Beachtenswert ist, daß sich kein rajasthanischer Bauer an diesem Unsinn beteiligte.

Das Puschkar Mela geht zu Ende

Auf dem Viehmarkt haben sich die Reihen merklich gelichtet, viele Tiere wurden gestern verkauft.
Heute sind öffentliche Spiele angesagt und ich betrete die zum Kartik Purnima errichtete Arena aus Brettern und abgrenzenden Stangen. Als Weißer habe ich das Privileg auf einen Tribünenplatz. Die rajestanischen Zuschauer stehen dicht gedrängt hinter den Stangen und Pfählen, ja, sie sitzen sogar auf den angrenzenden Bäumen.
Zur Eröffnung findet ein Wagenrennen von Frauen auf schweren, kamelgezogenen Bauernwagen statt.
Dann folgt das lustige Spiel: Wie viele Leute passen auf ein Kamel bevor es zusammenbricht?
Es folgen Reiterkunststücke des Militärs und ein Kamelreiterrennen.
In der Arena treffe ich meine Begleiterin wieder und wir gehen Tee trinken. Es ist bereits später Nachmittag und meine Begleiterin will auf einem Kamel reiten, also wieder zum Viehmarkt.
Die meisten Bauern rüsten sich zum Aufbruch. Wir suchen uns das Kamel eines Bauern aus und die beiden reiten ein paar Runden, während ich meine letzten Fotos schieße und die Sonne sinkt. Als sie zurück sind, will er dann 25 Rupien, gibt sich aber am Ende mit 5 Rupien zufrieden.

Rajasthanische Bauernfrauen rüsten sich zum Aufbruch
Diese rajasthanischen Bauernfrauen rüsteten sich am Ende des Camel Fair's zum Aufbruch.

Wir gehen zurück in unser Quartier und treffen dort unseren Bekannten. Jetzt heißt es erst mal ein paar Stunden warten, der Leute wegen, welche schon seit dem Nachmittag den Schauplatz der Pushkar Mela verlassen. Es sind 18 Busse von und nach Ajmer eingesetzt, trotzdem werden die Menschen nur langsam weniger und wir müssen uns dann immer noch mit den Ellbogen unsere Plätze in dem völlig überfüllten Bus erkämpfen.
Der Bahnhof von Ajmer ist total überlaufen, überall in der Halle liegen Schlafende, auf den Bahnsteigen drängen sich die Leute.
Die Züge sind ebenfalls hoffnungslos überbelegt, fast sitzen auf den Dächern der Wagons mehr Leute als drinnen. Als unser Zug einfährt, hat sich einer der vielen Bahnhofshunde zwischen die hohen Bahnsteige verirrt und rennt um sein Leben vor der dampfenden und zischenden Lokomotive her, denn auch auf dem anderen Gleis steht ein Zug - das könnte knapp werden.
Wir haben einen guten Platz gewählt und stehen direkt vor einer Wagontür als der Zug hält. Unser Bekannter ist der Erste, mit je einer Reisetasche über den Schultern hebt er den Fuß - und wird von einem uralten bärtigen kleinen Männchen mit Turban von hinten am Taschenriemen gepackt und zu Boden gerissen. Wie eine Schildkröte liegt er auf dem Rücken, mit den Armen und Beinen die Menge, die über ihn hinwegdrängt, abwehrend. Die Zugpassagiere, die in Ajmer aussteigen wollten, werden zunächst gar nicht aus dem Zug gelassen, sondern wieder zurückgeschoben. Es kommt zum Gerangel und wieder werden Ellenbogen eingesetzt. Endlich gelingt es auch uns den Zug zu besteigen. Drinnen kann man sich nicht bewegen, würde ich ohnmächtig, bliebe ich trotzdem stehen - immer noch drängen Leute nach. Eine meiner Sandalen wird, ebenso wie meine Reisetasche, kaputt gerissen und ich bekomme Platzangst. An Kontrolle ist nicht zu denken, sicherlich sind die meisten Passagiere Schwarzfahrer. Endlich, nach einigen Haltestationen des Bummelzug´s, gibt es etwas Luft und ich ergattere sogar einen unbequemen Sitzplatz, ein paar Inder rücken zusammen und ein paar Zentimeter an der Seite einer Bank werden frei.

Nach vier langen Stunden fährt unser Zug endlich morgens um Acht in Jaipur ein. Als Souvenir an das Pushkar Mela hat sich eine kleine Wunde an meinem Fuß entzündet, mein Lymphknoten ist angeschwollen. Wir machen einen Treffpunkt aus und ich begebe mich erst mal in einer Rikscha zur Uniklinik, wo ich ein Rezept für Antibiotika gegen meine Blutvergiftung erhalte, währenddessen meine Begleiter ein Hotel suchen.

Abendstimmung beim Kartik Purnima Fest
Abendstimmung beim Kartik Purnima Fest in Pushkar.
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