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Marokko - Afrika |
Es lief wie am Schnürchen, schon um 6:00 saßen wir in einem Bus, der uns nach Tetouan brachte, das wir schon vor 9:00 erreichten. Dort quartierten wir uns im winzigen aber sauberen Hotel „Bilbao“ ein. Dessen Besitzerin war, wie relativ viele der Einwohner der Neustadt, spanischer Abstammung. Das ordentliche Zimmer mit Dusche und Ventilator kostete pro Person zwar umgerechnet 4.- DM, war jedoch diesen Preis wert.
Anschließend folgte ein ausgedehnter Spaziergang durch die arabische Altstadt mit ihren schmalen, manchmal sogar nur wenig mehr als eineinhalb Meter breiten, verwinkelten und belebten Gassen und wir erwarben einige Kleinigkeiten.
Dabei wurden wir Zeugen, geradezu einer Karikatur, der morgenländischen Lebensart.
In der Gasse, in der wir uns befanden, erregte schon von weitem ein flehentliches Gezetere die Aufmerksamkeit der Passanten und auch wir blieben stehen.
Bald tauchten die Akteure des Geschehens in unserem Gesichtskreis auf. Ein wohlbeleibter Korporal mit gutmütigem, aber nicht übermäßig intelligentem Gesicht kam geschritten.
Hinter ihm zwei Polizisten, die einen mit altmodischen Handschellen gefesselten, flehentlich bittend und weinenden Mann von vielleicht fünfundzwanzig Jahren zwischen sich führten.
Jammernd wandte dieser sich mal an den linken, mal an den rechten Polizisten, hauptsächlich aber an den Korporal.
In dessen Gesicht und Augen focht deutlich sichtbar das Mitleid mit der Gesetzestreue einen heftigen Kampf aus. Er schien fast selbst den Tränen nahe.
Der Kerl fabulierte wohl von verhungernden Kindern, armen Waisen, entehrten Frauen, grausamer Kindheit und vom gebrochenen Herzen seiner geliebten Mutter. Er schien die Mitleidsmasche zu beherrschen, denn als sie an uns vorbei waren, wurden die Schritte des Korporals immer langsamer und in etwa zwanzig Meter Entfernung hielt die kleine Gruppe an.
Der Unteroffizier stellte dem Festgenommenen einige scharfe Fragen, die jener unter Kopfschütteln verneinte. Jetzt erhob der Führer der Gruppe gestreng ermahnend den Zeigefinger, der Missetäter schlug sich mit zuckender Brust die gefesselten Hände vor die nun heftiger tränenden Augen, dann wurden ihm die Handschellen abgenommen.
Augenblicklich küsste er nun mit freudig sein sollenden Tränen dem abwehrenden Staatsdiener dankend die Hände.
Er durfte nun gehen, und das tat er in unsere Richtung.
Der Korporal blieb in dem Bewusstsein zurück, ein Werk der Nächstenliebe getan und sich als guter Mensch erwiesen zu haben.
Der nach westlicher Mode gekleidete Ganove indes belachte übers ganze Gesicht die Dummheit des Polizisten, als er an uns vorüber ging.
Meine Kinnlade folgte der Schwerkraft.
Die Gerbereien der Altstadt verbreiteten in ihrer Nähe einen höchst üblen Gestank und es war mir schleierhaft, weshalb diese als Touristenattraktion galten.
Meine Freundin war etwas geschockt beim Anblick der mit vielen Fliegen behangenen Fleischstücke der Metzgerläden. Doch machten die belebten engen Gassen mit ihren kleinen Läden, die fremdartig bekleideten Menschen und die Düfte und Gerüche der Medina nicht nur auf denjenigen Eindruck, der so etwas noch nie gesehen hatte.
Bei einem alten Schuster ließ ich mir nach einer kurzen Preisverhandlung meinen beschädigten Schuh nähen, meine Freundin war etwas verwundert, daß ich nicht auf den ersten Preis eingegangen war, hatte dieser doch nur ein paar Pfennige betragen. Doch lernte sie schnell, daß in diesem Land Preisverhandlungen stets Pflicht waren.
Wer hier den ersten geforderten Preis bezahlt, gilt als bekloppt.
Solche Verhandlungen machen ungeheuren Spaß, man bleibt freundlich, spielt Entsetzen über den hohen Preis, appelliert an das Mitleid des Partners, ob dieser einen denn an den Bettelstab bringen wolle, gibt sich erzürnt, kurzum, macht alles um den Preis zu drücken und wenn man dann trotzdem etwas mehr als ein Marokkaner bezahlt, dann ist das nur gerecht, denn in der Regel verdient der marokkanische Partner (zumindest der kleine Händler) im Monat wesentlich weniger als der Tourist.
Bei derartigen Leuten wie dem Schuster, der mit seiner Arbeit keine Reichtümer erntete, rundet man den zuvor gedrückten Preis beim Bezahlen natürlich wieder nach oben auf.
Nach der langen Besichtigung gingen wir ins Hotel zurück um uns auszuruhen, die schlaflose Nacht auf der Fähre und der stundenlange Spaziergang machte sich nun doch bemerkbar.
Wir beschlossen diesen aufregenden ersten Tag in einem Restaurant bei einer großen Schale dicker und sehr guter Gemüsesuppe mit Weißbrot französischer Art. Dieses sehr billige und sättigende Essen sollten wir in den nächsten Wochen noch häufiger zu uns nehmen. Danach tranken wir noch in einer Stube den berühmten marokkanischen süßen und starken Minztee.
Am anderen Morgen nach dem Frühstück wollte ich mir ein Hemd in der Altstadt kaufen.
Stets war es meine Gewohnheit gewesen, zum Schutz gegen Taschendiebe einen billigen Brustbeutel aus Stoff um den Hals oder eine ausgediente Geldbörse, mit einigen Blättern Altpapier als Inhalt, deutlich sichtbar in der Gesäßtasche mit mir herum zu tragen, während das Kleingeld in der vorderen Hosentasche steckte.
Zwar kann man dadurch manchmal erst zum Ziel eines Gauners werden, doch wird auch dann ein solcher auf jeden Fall nicht mehr nach den besser versteckten Wertsachen Ausschau halten, sondern sich auf die einfache „Beute“, die man sich natürlich ohne Gegenwehr abnehmen lässt, konzentrieren.
Dummerweise steckte in meiner Börse außer wertlosem Papier an diesem Tag noch immer mein Personalausweis.
Bei Polizei- und Grenzkontrollen während des Trampens mußte ich so nicht jedesmal meinen Reisepaß aus dem Versteck am Körper holen und bei der Ankunft in Marokko hatte ich den Ausweis eigentlich zu den anderen Papieren und Reiseschecks stecken wollen, dies aber bis jetzt vergessen.
Ich befand mich gerade in einer etwa drei Meter breiten Gasse mit vielen Passanten, als mir zwei immer heftiger streitende junge Männer entgegen kamen.
Als sie sich auf meiner Höhe befanden, wurden sie plötzlich handgreiflich, einer der jungen Männer holte aus um den anderen zu schlagen und stieß mich dabei mit dem Ellenbogen derb in die Seite.
Sofort drehte er sich zu mir um, legte mir die Hand auf die Schulter und entschuldigte sich wortreich.
Wesentlich leiser weiter streitend entfernten sie sich sehr rasch im Gewühl, dies erregte meinen Verdacht, ich fasste an meine Gesäßtasche – meine Börse war weg!
Trick Siebzehn mit Selbstüberlistung. Die Ganoven mußten mich ausbaldowert und ungesehen überholt haben.
Dem Personalausweis selbst war weiter nicht nach zu trauern, doch was, wenn die Kerle mit meinem Namen und Ausweis irgendwelchen Unsinn anstellten?
Da mein französisch sehr rudimentär war, holte ich zur Unterstützung meine Freundin und wir begaben uns zur Polizei. Dort wurden wir zu einem Schreiber geschickt, der für umgerechnet 2 oder 3 Mark ein langes Schriftstück aufsetzte, das wir dann wieder auf der Polizei abgaben. Misstrauisch wollten die Beamten meinen Reisepaß mit dem Visa sehen, bevor sie mir eine Bescheinigung ausstellten, ich hätte meinen Personalausweis „verloren“.
Das ganze Prozedere dauerte natürlich stundenlang, und das alles wegen eines in Marokko sowieso ziemlich nutzlosen Personalausweises.
Nach dem anschließenden Mittagessen kaufte ich mir endlich mein Hemd und wir bummelten wieder durch die Gassen der Altstadt.