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Hippie Trail - Asien |
Den nächsten Tag, Montag der 17. Okt. 1977, kauften wir für 125 Rial ein Ticket an die Grenze. Die Abfertigung an den beiden Posten dauerte recht lange, am afghanischen Grenzposten war eine kleine Ausstellung mit Drogenverstecken und einer kurzen Fallbeschreibung. Haschisch und andere Drogen waren in Schokolade eingeschmolzen, zwischen einer Tischplatte, in Schachfiguren, allerlei sonstigen Utensilien und sogar Fahrzeugteilen raffiniert versteckt gewesen. Für 70 Afghani reisten wir dann in einem Minibus voller Freaks aus England und Amerika bis nach Herat.
Ein kurzer Stop zeigte mir die zu erwartenden hygienischen Verhältnisse. Neben der Straße floß in einem Betongraben ein kleines Wässerchen. Das Wasser war nicht klar, sondern hatte etwa die Farbe von Putzwasser, nachdem damit ein schmutziger Boden gewischt wurde. Ein Afghane ging an dem Kanal in die Hocke, schöpfte das Wasser mit der Hand und spülte sich damit den Mund aus.
In Herat stiegen wir im Hotel "Yaquin" ab, 20 Afg. kostete die Übernachtung im Schlafsaal. Dieser war auch der Schlafplatz des zweiköpfigen Personals. Im Hotel gab es keinen Strom, vielleicht hatte der Besitzer ja die Stromrechnung nicht bezahlt, jedenfalls waren alle Lampen demontiert und nur noch die Kabel hingen aus den Wänden. Statt dessen stand auf dem Boden eine Benzinlampe, die, wenn man kräftig an ihr pumpte, für jeweils etwa 20 Minuten ein gleißend helles Licht erzeugte.
Einen Engländer, der mit im Schlafsaal war, faszinierte dieses einfache aber effektive Gerät ungeheuer.
"That´s made in China!" Lautete seine Schlußfolgerung.
"China? No, not China, that´s made in Gerrmany!"
"All things arre made in Gerrmany!"
Der Engländer öffnete den Mund.
Die britischen Einfälle nach Afghanistan im 19. Jahrhundert waren bei den stolzen Einwohnern unvergessen.
Hier in Herat wollten wir zunächst einmal bleiben, die Strapazen der letzten zweieinhalb Wochen steckten uns in den Knochen.
War das Essen im Iran nicht besonders wohlschmeckend, so war es in Afghanistan aus hygienischen Gründen fast nicht zu genießen, wie wir bald feststellen mußten.
Nur in ein paar wenigen Restaurants, die einen halbwegs sauberen Eindruck machten, wagten wir zu essen. Neben den Straßen floß in den Gräben ein kleines nur wenige Zentimeter breites, stinkendes Rinnsal in dem aller mögliche Schmutz und Abfall landete. Ein Alter ließ über diesem Graben ein Huhn ausbluten, ein paar Meter weiter wusch sich einer die Hände in der Brühe während wieder ein paar Meter weiter Putzwasser in den Graben gegossen wurde. Den Gipfel erlebten wir jedoch, als wir aus einem Restaurant traten in dem wir gerade "Spaghetti" - eine undefinierbare Nudelmasse - gegessen hatten. Der Küchenjunge kam aus der Tür und säuberte unsere Teller ebenfalls in diesem Schmutzwasser.
Unsere Hauptnahrungsmittel waren ab jetzt das gute frische Fladenbrot, das die in die Erde gegrabenen und mit Reisig oder Holzkohle befeuerten Backöfen lieferten, sowie Honig und Früchte wie Melonen, Bananen, Trauben und Granatäpfel. Diese letzteren Früchte sind, sofern sie aus dem Iran oder dem angrenzenden westlichen Afghanistan stammen, von besonders hervorragendem Geschmack und sehr erfrischend, wenngleich sie ja etwas umständlich zu essen sind.
Das Fladenbrot war von dem auf den Zähnen knirschenden Material des Ofens behaftet. Es wurde gebacken, indem man die etwa zentimeterdicken Fladen von oben über die Glut an die senkrechten Wände des Lehmofens warf, wo sie hängen blieben bis sie gar waren und nach kurzer Zeit mit einem Brett geschickt wieder herausgeholt werden konnten. Manchmal, jedoch selten, fiel auch eines der Brote ins Feuer und war verloren. Auch war das Wasser mit dem der Teig angerührt wurde, teilweise dubioser Herkunft, doch sterilisierte die enorme Hitze der Öfen die Brote. (In einer der Backstuben wurde der Teig gar in alten Plastiksäcken, in denen sich einst Kunstdünger befunden hatte, hergestellt.) Natürlich achteten wir trotzdem beim Kauf auf die Klarheit des verwendeten Wassers und auch mit Überresten von Dünger wollten wir keine nähere Bekanntschaft machen. Diese zahlreichen offenen "Bäckereien", in denen man den gesamten Fertigungsprozeß beobachten konnte, waren von Morgens bis in den Abend in Betrieb und lieferten stets warme Ware, da außerhalb der Stoßzeiten oft erst bei der Bestellung das Brot frisch gebacken wurde.
Von dem an Ständen angebotenen, über Holzkohle gegrillten und lecker duftenden Kebab¹ ließen wir aus Unerfahrenheit die Finger, denn das mit vielen Fliegen übersäte rohe Fleisch in den Schüsseln, die der Tageshitze ausgesetzt waren, schreckte uns ab. Erst viel später sollte ich lernen, daß frisch gebratenes Fleisch, sofern es ganz durchgegart ist, das mit Abstand sicherste frische Lebensmittel ist.
Ab und an ergänzten wir unsere dürftige Nahrungsmittelpalette mit verhältnismäßig teuren importierten Butterkeksen (indischer Produktion, wie ich mich zu erinnern glaube).
Sonst machte Herat einen angenehmen Eindruck, es gab da die interessanten Händler, die einen zum Tee mit Kandiszucker und einem Gespräch in den Laden luden, natürlich in der (verheimlichten) Hoffnung etwas verkaufen zu können. Eine schöne blau gekachelte Moschee, die wir allerdings nur von außen besichtigten. Selbst der alte Friedhof und die von den Engländern aus Rache für verlorene Schlachten gesprengte moslemische Universität, von der nur noch die Minarette standen, waren sehenswert.
Daß der Tee im Orient Çay (Tschai) hieß, hatten wir natürlich schon in Istanbul erfahren und bis nach Nepal sollte dies der Name für Tee bleiben. In Afghanistan wurde dieses Getränk ohne Milch aber mit besagtem Kandiszucker genossen, welcher allerdings nicht in den Tee gegeben, sondern in dem Mund genommen wurde, wo das Heißgetränk dann mit diesem in Kontakt kam.
Auch im Hotel trafen wir interessante Leute, so drei junge Männer aus Teheran, mit denen wir uns anfreundeten.
Drei Leute aus Freiburg waren ebenfalls im Hotel, bei ihnen war das Geld sehr knapp, also gedachten sie, sich mit der Post (per Brief!) etwas schicken zu lassen. Sie warteten lange auf das Geld, da es nicht eintraf wiederholten sie den Vorgang, insgesamt wurde aus Deutschland fünfmal Geld abgeschickt. Täglich fragten sie auf dem Postamt nach einem Brief aus Deutschland.
Endlich erbarmte sich ein Postbeamter und klärte die jungen Leute auf, daß man ganz schön blöde sein müsse, sich fünfmal Geld aus Deutschland schicken zu lassen!
Womit er vielleicht nicht ganz Unrecht hatte.
Am 27. Oktober fuhren wir dann mit dem Bus nach Kabul. Außer uns waren nur Afghanen im Fahrzeug. Die Fahrt ging streckenweise durch teils enge Flußtäler und schroffe Felsen. Immer wieder zweigten kleine Kanäle von den Wasserläufen ab und führten das Wasser über viele hundert Meter auf die Felder. Selbst bei der schweren Feldarbeit waren die Frauen in ihre meist blauen Bettücher gehüllt, die nur am Gesicht ein kleines schwarzes Netz freiließen.
Auffallend waren auch die freilaufenden riesigen Hunde, fast so groß wie junge Kälber machten die massigen echten "Afghanen"-Hunde einen respekteinflößenden Eindruck, ganz anders als die bei uns so benannten, langhaarigen und dürren Köter, mit denen sie allenfalls ihre langen Läufe gemein hatten.
Fast alle Mitreisenden waren Männer in traditioneller Tracht mit Turban. Einer von ihnen reiste in Begleitung seines etwa acht- bis zehnjährigen Sohnes, welcher irgendwann zu quengeln begann. Alles lachte. Dies schien den Vater zu ärgern und er beschimpfte den Jungen. Dieser jedoch hörte nicht auf, mit gequält verzogenem Gesicht zu bitten und schließlich sprach der Mann mit dem belustigten Fahrer, welcher dann bald an einem weiten Geröllfeld anhielt. Jetzt wurde uns klar um was es ging. Der Vater zerrte den Jungen mehr als daß er ihn führte, aus dem Bus auf die steinbedeckte kahle Ebene und befahl ihm, keine zehn Meter vom Bus entfernt, die Hosen runter zu lassen und in die Hocke zu gehen. Die Sache war wirklich dringend, der Stuhl war ockerfarben und glich dünnem Brei, welcher eine große Flade bildete. Nach einigen Sekunden hob der Afghane einen großen flachen Stein auf, zog den Jungen in die Höhe und säuberte grob mit dem Stein den Allerwertesten des Kleinen, welcher dabei schmerzhaft das Gesicht verzerrte und zu weinen begann. Dies machte seinen Vater noch wütender und er schüttelte schimpfend das Kind, bevor er es wieder zum Bus zerrte. Der Junge unterdrückte jetzt seine Tränen und der Bus fuhr wieder weiter. An der finsteren Miene des Mannes war abzulesen, wie sehr es ihn ärgerte, daß sich sein Sohn als solcher Schwächling gezeigt und ihn, als Vater dieses Schwächlings, dem Spott der Mitreisenden preisgegeben hatte. Das gedemütigte Kind machte hingegen einen schuldbewussten Eindruck und vielleicht hatte das Ereignis in den nächsten Tagen noch schmerzhafte Folgen. Ich war in diesem Augenblick noch dankbarer als sonst, nicht in diesem archaischen Land geboren worden zu sein.
1) Kebab (Fleischspießchen von Hammel- oder Lammstückchen) ist nicht erst seit dem berühmten "Döner Kebab" (türk.: "Drehspieß") im Deutschen bekannt. In der Form von "Schaschlik" (türk.: "Śiś Kebab" gesprochen: "Schischkebab") ist es schon seit langem ungarisiert in unsere Küche eingegangen. Bis nach Indien und im westlichen China kann man Kebab bestellen und sogar das serbische "Ćevapčići" geht auf das orientalische "Kebab", von dem es viele Varianten gibt, zurück. - Zurück zum Text