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Hippie Trail - Asien |
Die Fahrt kostete 55 Rupien und endete nach 24 Stunden in der indischen Hauptstadt. Wir suchten und fanden bald in der Nähe des Bahnhofs eine billige Absteige. In Delhi galt es einen günstigen Flug nach Deutschland zu suchen, denn den Strapazen des Landweges war ich noch nicht gewachsen. Das billigste das wir fanden war ein Angebot vom "Student Travel Service" für 450.- DM mit "Syrian Arab" nach München. Also kauften wir dort Flugscheine für den 23. Januar.
Indien scheint den Westlern ja bekanntermaßen das Land mit den aufdringlichsten Bewohnern Asiens zu sein. Zum Teil liegt das an den unterschiedlichen Vorstellungen von Höflichkeit. Als höflich gilt es in Indien, Fremde nicht nur nach dem woher und wohin, sondern auch über deren Namen, demjenigen ihrer Väter und Vätersväter, dem Gesundheitszustand und der Herkunft der Familie, der Anzahl der Brüder und Cousins, deren Beruf und Personenstand, dem Sterbejahr des Urgroßvaters sowie über weitere seltsame Dinge, die sich unsereiner gar nicht alles merken kann, auszufragen. Und da die Inder im Allgemeinen sehr leutselig sind, wurden wir meist, sobald wir irgendwo stehen blieben oder uns gar setzten, in derartige Gespräche verwickelt und immerhin wurde uns so die Zeit nicht lang.
In einem Park von Neu Delhi wurden wir ebenfalls auf solche Weise von zwei älteren Männern angesprochen. Sie behaupteten, ihre Brötchen als "Ohrenputzer" zu verdienen und tatsächlich hatten sie auch solche Reinigungsgeräte dabei. Für diesen armseligen Broterwerb, der uns noch gar nie begegnet war, sprachen sie jedoch zu gut englisch und obwohl sie in typisch indische, weite Gewänder gekleidet waren, waren diese doch aus zu feinem Stoff und noch dazu blitzsauber. Sie interessierten sich sehr dafür, was wir in Kathmandu alles getrieben hatten und ob wir Drogen mit nach Indien gebracht hätten.
Wir hielten die beiden für Geheimpolizisten oder bezahlte Polizeispitzel und für diesen Job hatten sie sich ja die richtige Berufstarnung ausgesucht. Zugeben konnten die beiden das natürlich nicht.
"Wenn ich Polizist wäre, dann wäre ich ein feiner Mann und bräuchte nicht hier im Park nach Kunden zu suchen, die sich die Ohren säubern lassen wollen!"
Doch bestimmt hatte schon manch ein naiver Hippie auf dem Polizeirevier auch den Spruch zu hören bekommen:
"Ich habe dir doch gesagt, daß ich die Ohren sauber halte!"
Das witzige Duo begegnete uns noch mehrmals und wir begrüßten sie bald als alte Bekannte, doch nie hatten sie irgendwelche Kundschaft.
Wir besuchten das nicht sehr weit entfernt liegende Zentrum von New Delhi, den "Connaught" Place mit seinen gleichnamigen Ringstraßen, wo wir ein kleines billiges Restaurant entdeckten, das gebackene Hühnerteile anbot, eine willkommene Abwechslung zur sonst fleischlosen Kost.
Doch Delhi war eine orientalische Stadt, was sich auch dadurch bemerkbar machte, daß sich mitten zwischen den modernen Gebäuden jenes Viertels entlang der kurzen Mauer einer kleinen Grünanlage eine wilde Urinierstelle befand, an der sich täglich hunderte, wenn nicht gar tausende Männer erleichterten. Was natürlich bei den hier herrschenden warmen Temperaturen einen fast unerträglichen Gestank hervorrief, der selbst auf die andere Seite der breiten Straße waberte. Der Urin versickerte im feuchten roten Boden, auf dem kein Grashalm mehr wuchs.
Die vielen kleinen Läden im Gewirr der Häuser und Gassen bei unserem Hotel hatten ein interessantes Warenangebot und besonders in einem Laden, der eine Unmenge an verschiedenen Sorten von Parfümölen offerierte, verbrachten wir ziemlich lange Zeit. Ein kleines Fläschchen der ungeheuer intensiven Substanzen kostete meist wenig mehr als eine Mark, je nach Sorte auch etwas weniger oder, bei besonders wertvollen Rohstoffen, auch das zwei- oder dreifache. Unverdünnt konnte das Öl gar nicht verwendet werden, da man bei der Benutzung auch nur eines einzigen Tropfens in eine langanhaltende Duftwolke gehüllt wurde, welche selbst im Freien mehrere Meter weit praktisch alle anderen Gerüche überdeckte. Als wir wieder aus dem Laden traten, brummte uns der Kopf, wir hatten alles über die Herstellung der verschiedensten Sorten von Parfüm erfahren, denn der Verkäufer war nicht müde geworden, uns alles im Detail zu erklären. Dabei hatte jeder von uns nur zwei oder drei der billigeren Fläschchen gekauft.
Straßenhändler boten Betel an, eine angeblich leicht berauschende Nuß, welche zusammen mit einer Kalkpaste und Gewürzen in ein Pflanzenblatt eingewickelt und zumeist von den ärmeren Schichten massenhaft gekaut wurde. Es bildete sich ein roter Saft, welcher auf Dauer die Zähne zerfraß und der überall ausgespuckt wurde. Vor allem unter den Fenstern von Bussen und Zugwaggons waren riesige rote Kleckse von dem ausgespuckten Betelsaft an den Außenwänden, doch scheuten sich die Passagiere auch nicht, das eklige Zeugs einfach auf den Boden der Fahrzeuge zu spucken. In allen öffentlichen Gebäuden standen deshalb auch überall Spucknäpfe.
Auch indische Zigaretten, sogenannte "Bidies" wurden an den Ständen angeboten, von diesen kostete eine 35 Stück Rolle nur wenige Paisa, doch hatte eine solche Zigarette auch nur einen sehr kleinen Anteil an echtem Tabak, der größere Teil einer solchen Zigarette bestand aus dem Blatt einer anderen Pflanze, in den dieser kleine Krümel konisch eingerollt war. Zwischendurch war es eine Abwechslung, eine solch seltsame, aber gar nicht so übel schmeckende Zigarette zu rauchen. Viele Inder hatten die Gewohnheit, diese Zigaretten zwischen den kleinen Finger und den Ringfinger zu stecken um aus der hohlen Hand zu rauchen, dies kühlte anscheinend den Rauch etwas ab.
Einwegfeuerzeuge waren in Indien noch unbekannt, statt dessen benutzte man Benzinfeuerzeuge oder Streichhölzer, deren Schachteln meist nicht aus Pappe, sondern aus millimeterdünnem Holz waren. Die Qualität der Hölzchen war lausig, oft brachen sie ab und landeten mit aufflammendem Köpfchen auf der Kleidung, weshalb man es sich schnell angewöhnte, diese in einer vom Körper wegweisenden Bewegung zu entzünden.
Dem indischen Staat gelang es damals die Wirtschaft zu fördern, indem er auf alle Produkte die man auch im Land selbst herstellen konnte, hohe Importzölle verlangte. Dies brachte viele Arbeitsplätze, doch ließen auf der anderen Seite die Produkte teilweise eben auch zu wünschen übrig.
Indien ist ja als das Land des Tees bekannt, dieser war dort auch das am häufigsten genossene Getränk, doch war die europäische Zubereitungsart eines solchen Aufgußes den von den ausländischen Gästen besuchten Häusern vorbehalten. An jeder Ecke gab es jedoch an Ständen die indische Art des Tees. Dieser wurde stark gezuckert und mit reichlich Milch versetzt in Kannen angebrüht und in henkellosen Einwegtassen aus dünnem unglasierten gebranntem Ton ausgeschenkt. Hatte man leer getrunken, wurden die nicht sehr harten Tonschalen in der Hand zerbrochen und weggeworfen. Vor allem die Gleise an den Bahnsteigen waren mit solchen Scherben übersät.
Das hiesige Bier hatten wir während unseres ersten Aufenthaltes auch einmal probiert, doch bekam diese saure Brühe wohl nur ein eingefleischter Alkoholiker durch den Schlund. Erst vor einigen Monaten hatte sich der indische Staat mit dem "Coca Cola"-Konzern überworfen, dieser hatte zuviel seiner Gewinne aus dem armen Land transferiert und kurzerhand wurden die Fabriken des Softdrink-Herstellers dichtgemacht. Ersatzprodukte, von denen das bekannteste die Marke "77" war, schossen wie Pilze aus dem Boden, darunter "Thumbs up". Diese schwarze Limo schmeckte, typisch indisch, nach Curry.
Mein Lieblingsdrink jedoch war der dickliche Saft von Mangos, der ebenfalls in kleinen Flaschen angeboten wurde. Während unserer Fahrt nach Nepal gab es diesen noch, doch war jetzt leider die Saison zu Ende. Mangos waren überhaupt meine Lieblingsfrucht. Ihren Saft gab es um diese Jahreszeit auch dehydratisiert als schwarze zähe Masse in Tafeln zu kaufen. Beim Kauen entfalteten diese einen wunderbaren Geschmack. (Deshalb war ich sehr enttäuscht, als in den 90er Jahren die ersten lagerfähigen, aber relativ geschmacklosen Mango-Neuzüchtungen in unseren Supermärkten auftauchten.) Von Indien ausgehend verbreiteten die Kolonialmächte diese köstliche Frucht in all ihren tropischen Kolonien, doch sind die indischen Früchte so ziemlich mit Abstand die besten. Lediglich in der Republik Zentralafrika sollte ich einige Jahre später Mangos in ähnlicher Qualität essen.
Deutsche waren in Indien zwar nicht so hoch angesehen wie in Afghanistan, doch auch hier geachtet. Grund dafür war aber leider auch wieder der 2. Weltkrieg. Dieser verlief für die Briten ja bekanntlich zwar siegreich, doch hinterließ er ihr Imperium derart geschwächt, daß es den Indern möglich wurde, sich ihre Unabhängigkeit zu ertrotzen. Deutsche benötigten zu jener Zeit übrigens noch für eine Aufenthaltsdauer in Indien von bis zu drei Monaten kein Visum.
Zwei Tage vor Abflug begannen bei Werner die gleichen ersten Symptome aufzutreten wie bei mir Anfang Dezember. Wir hatten anfangs als ich noch nicht wußte an was ich erkrankt war, öfters gemeinsam aus einer Bierflasche getrunken, denn in Nepal gab es das erste trinkbare Bier seit der Türkei. "Gebraut nach deutschem Rezept." Auch auf den Bus- und Zugfahrten hatten wir natürlich oft aus einer Flasche getrunken. Das war der einzig mögliche Übertragungsweg. Ausgerechnet ich mußte ihn angesteckt haben.
Ruhe konnte man im Bahnhofsviertel von Delhi nicht finden, tagsüber strömte eine stetig lärmende Menschenmenge vor dem Fenster vorbei und selbst Nachts fuhren völlig unnötig hupende Scooter mit Zweitakt-Motoren durch die Gassen. Ein krasser Gegensatz zu der stillen Seitengasse in Kathmandu, wo nur selten ein Moped den Lärm der gehenden und redenden Menschen übertönte. Unser "Hotel" war von der untersten Kategorie, unser Zimmer hatte zwei Türen, in welche jeweils ein Loch genagt war. Eine fette große Ratte wechselte nun ungeniert von einer Tür zur anderen, doch unser Wirt meinte, das sei doch nicht so schlimm. Wir mussten sparen und das Zimmer war billig. Neben meinem Bett war ein in die Wand eingelassenes Regal. Zwischen den Brettern des Regales und der Mauer war ein Spalt, in der eine riesige, samt Beinen fast 10 Zentimeter im Durchmesser große Spinne hauste. Das erschien mir bedenklicher als die Ratte, denn ich wußte nicht, ob das Tier zu einer giftigen Spezies gehörte und so versuchte ich es zu töten. Es klingt fast unglaublich, aber als die Spinne auf der freien Wand war, schaffte ich es einmal , ein Buch in 10 Zentimeter Entfernung mitten über dem Tier zu platzieren und blitzschnell stieß ich zu. Die Spinne jedoch war schneller und schaffte es, das tödliche Areal rechtzeitig zu verlassen und wieder im Spalt zu verschwinden.
Der Flug führte mit einer B747 über Kuweit nach Damaskus, wo einige Stunden Aufenthalt eingeplant waren. Dies war mein erster Langstreckenflug und prompt wäre die Sache fast schiefgegangen. Die ganze morgendliche Ebene von Damaskus war in dichten Nebel gehüllt, nur die schneebedeckten Berge des Libanon glänzten im Westen aus dem Weiß, als unsere Maschine in den Nebel zu sinken begann. Ich sah aus dem Fenster und erblickte etliche Meter unter mir die kahlen Äste eines Baumes. Plötzlich begann das Flugzeug zu vibrieren, der Pilot gab vollen Schub auf die Triebwerke und langsam begannen wir wieder zu steigen. Der Flugzeugführer hatte die Landebahn verfehlt und so drehten wir einige Runden über dem Nebel, bis wir erneut, diesmal erfolgreich, einen Landeversuch unternahmen.
Wir mußten den Flieger verlassen und wurden im Flughafengebäude in einen Transitraum geführt. Wir waren nur wenige Passagiere im Transit und in diesem Raum waren schon 10-12 Araber, jeder mit einem Turban der bestimmt 50 Zentimeter im Durchmesser hatte. Wie es schien, waren sie irgendwo als Gastarbeiter beschäftigt und auf dem Heimweg, denn alle waren sie zwischen 20 und 30 Jahre alt und jeder hatte einen neuen tragbaren, batteriebetriebenen Radiokasettenrekorder vor sich auf dem Tisch stehen, alle in Betrieb und laut aufgedreht, nur fast jeder mit einem anderen Sender.
Wir begaben uns beide, nach Ankunft in München, wo wir abgeholt wurden, am 24. Januar 1978 in die Obhut der deutschen Ärzte. Werner wurde sofort ins Krankenhaus eingewiesen, bei ihm fing das ganze Programm erst an. Bei mir war das nicht mehr nötig. Glücklicherweise heilte auch Werners Krankheit vollständig aus.
Einzig das auch von den deutschen Ärzten empfohlene Jahr ohne Bier fiel uns wohl beiden schwer.