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Hippie Trail - Asien |
Am nächsten Tag erreichten wir Kabul. Die Stadt liegt in etwa auf 1800 Meter Meereshöhe am gleichnamigen Fluß, der hier eine Hochebene durchquert und zu dieser Jahreszeit kaum Wasser führte. Hier sah man alle afghanischen Volksgruppen. Schlitzäugige innerasiatische Typen, europäisch anmutende Paschtunen, und Menschen mit indischem Einschlag. Mit dem Tschador verdeckte Frauen, unverschleierte Nomadinnen und nach westlicher Mode gekleidete Studentinnen, freilich nicht gerade im Minirock. Junge Männer in westlicher Mode flanierten als Pärchen händchenhaltend durch die Straßen, doch hatten wir inzwischen gelernt, daß diese im ganzen vorderen und mittleren Orient weit verbreitete zärtliche Sitte nicht unbedingt ein Ausdruck von Homosexualität ist, ein merkwürdiger Kontrast zum sonst so männlichen Gehabe der Afghanen. Die Füße der Männer in traditioneller Tracht aus weiten gefalteten Hosen und lang über die Hüften reichendem Hemd, über dem oft noch ein Jackett nach westlicher Art getragen wurde, steckten stets barfuß in den Halbschuhen. Ich erinnere mich noch gut an ein Wandgemälde, ich glaube es war in einem amtlichen Gebäude, auf dem eine Gruppe Wolfsjäger im Schnee des eisigen Hindukusch mit derartiger Fußbekleidung dargestellt war.
Wir fanden Unterkunft im "Balkh" Hotel wo ein Bett im Zweibett-Zimmer 30 Afg. kostete. Hier lieferte die Dusche sogar manchmal heißes Wasser. Daß der alte Koch des Hotels knallgelbe Augen hatte, beachtete ich nicht weiter, war das Hotel sonst doch recht sauber. Überhaupt waren die hygienischen Verhältnisse in Kabul besser als in Herat. Zwar gab es auch hier oft eine offene Kanalisation in Form von Betongräben neben den Straßen, doch waren etliche Reinigungstrupps unterwegs, die den groben Schmutz aus diesen entfernten und nie sah ich in der Hauptstadt Menschen, die sich die Hände im Abwasser wuschen.
Unser Hotel war nicht allzu weit von der berühmten "Chicken Street" entfernt. In dieser Straße reihte sich Händler an Händler um den Touristen ihre Waren anzubieten. Schuhe und andere Lederwaren, "alte" orientalische Steinschloßflinten, Dolche, Teppiche, Stickereien, Schmuck und auch Halbedelsteine, vor allem der Lapislazuli, für den die Minen im heutigen Afghanistan seit der Antike berühmt sind. Ich kaufte mir Halbstiefel und eine lederne Reisetasche, bei den Händlern mußte man die Waren auf den halben Preis herunterhandeln und bezahlte dann vermutlich immer noch doppelt so viel wie ein afghanischer Kunde.
Teilweise stieß man als Tourist auf die offene Verachtung der Afghanen.
Da uns der aus Europa mitgebrachte Tabak schon längst ausgegangen war, hatten wir uns auf amerikanische Zigaretten umgestellt, welche wesentlich billiger waren als in der Heimat die entsprechende Menge an Tabak. Diese wurden von Straßenhändlern (auch einzeln) verkauft. Bei einem der Händler, einem etwa mir gleichaltrigen, erstand ich eines Tages eine Schachtel. Seltsamerweise verlangte er nur einen Bruchteil des üblichen Preises und ich setzte meinen Weg in eine Seitengasse fort. Nach kurzer Zeit tauchte er jedoch, brüllend und schimpfend, eilig hinter mir auf. Ich hielt an, vermutlich hatte er bemerkt, daß er zu wenig verlangt hatte. Aggressiv ballte er seine Faust vor meiner Nase und verlangte die Schachtel zurück. Im Nu versammelte sich eine Menge Zuschauer um uns. Eine Schlägerei wollte ich mit dem kräftigen Kerl nicht riskieren und so gab ich ihm die Schachtel zurück und verlangte mein Geld. Verächtlich warf er mir das Geld vor die Füße, eine Tat, die in den Augen der Afghanen nur mit einem kräftigen Fausthieb zu ahnden war. Ich jedoch hob das Geld auf und hatte damit in den Augen der Zuschauer meine Ehre verloren. Mit verächtlichem Gemurmel löste sich die Menge sofort auf.
Im Allgemeinen war man als Deutscher jedoch hoch geachtet. Dies hatte geschichtliche Ursachen. Schon im 2. Kaiserreich gab es eine romantisierende Begeisterung für das Königreich am Hindukusch und Herrscher Wilhelm Zwo entsandte Ingenieure zum Bau von Straßen und Brücken in das Land. Daß viele der Brücken nach den ersten überraschend gewaltigen Hochwassern wieder einstürzten, tat den Beziehungen keinen Abbruch und vollends der erste große Krieg gegen die beiden Todfeinde der Afghanen, die Russen und die Angelsachsen, ließ das Ansehen der Deutschen wachsen. Nicht verschwiegen werden darf allerdings auch, daß die Ermordung der Juden durch die Nazis im zweiten Krieg von vielen der einfachen Moslems nicht als entsetzliches Verbrechen, sondern als gerechte Strafe Gottes an diesen Ungläubigen, die ihre palästinensischen Glaubensbrüder vertrieben und unterjocht hatten, betrachtet wurde. (Über die Tatsache, daß der von den Deutschen begangene Genozid die Gründung Israels ja erst verursachte, sah man großzügig hinweg, daß Israel ohne die massive Unterstützung seitens der USA nicht existieren könnte, wurde dagegen exakt registriert.)
Doch genoß auch zum Beispiel die deutschsprachige Nedjat-Schule in Kabul seit 1924 hohes Ansehen und relativ viele der gebildeten Afghanen hatten in Deutschland studiert. Etliche der jungen Leute aus der hauchdünnen gebildeten Oberschicht waren stark vom westlichen Lebensstil beeinflusst und verachteten die in ihren Traditionen verharrende Landbevölkerung, so wie auch wir jungen Westler damals den Lebensstil unserer Elterngeneration verachteten.
Der Kontakt zur einheimischen Bevölkerung fand hauptsächlich in den Restaurants und in den Läden statt. Man ging in Afghanistan nicht einfach in ein Geschäft um ein Souvenir zu kaufen, sondern man setzte sich, bekam Tee serviert und unterhielt sich erst mal mindestens eine Viertelstunde lang über Politik, Deutschland, Afghanistan und sonstige Dinge, bevor man in Verhandlungen trat und dann etwas kaufte oder auch nicht.
Kontakt zu einheimischen Frauen konnte man in diesem moslemischen Land natürlich nicht aufnehmen, wenn einem das Leben lieb war. Eigentlich braucht das ja gar nicht erwähnt zu werden. Daß es natürlich trotzdem auch hier gewisse käufliche Beziehungen gab, war zwar anzunehmen, doch suchten wir nicht nach solchen und während unseres Aufenthaltes in Kabul machten wir auch keine zufälligen Beobachtungen dieser Art.
Etliche der Fahrzeuge auf den Straßen waren Gebrauchtwagen aus Deutschland und Lieferwagen trugen zum Teil sogar noch deutsche Werbeaufschriften. Überhaupt galten deutsche Produkte als von hoher Qualität und waren begehrte Statussymbole.
Es gab ziemlich viele Touristen in Kabul, hauptsächlich junge Leute und viele Hippies. Von diesen hörte man die seltsamsten Geschichten.
Einem waren die Reiseschecks gestohlen worden, ohne eine Bestätigung der Polizei gab es natürlich auch keinen Ersatz. Also ging er zur Polizei um die Sache anzuzeigen. Deren erste Frage war: "Hast du Geld?"
Natürlich hatte er keins, das war ja gestohlen worden.
Daraufhin wurde er von der Polizei mit der Bemerkung wieder fortgeschickt, er solle wiederkommen, wenn er Geld habe, dann bekomme er seine Bestätigung!
Ein anderer wollte in einem Brief ein wenig Haschisch nach Hause schicken, der Postbeamte tastete den Brief ab, merkte daß etwas im Brief war und rief die vor der Tür stehenden Polizisten. Diese holten ihren Offizier, dem Hippie wurde das ganze Geld abgenommen (auch der Postbeamte bekam seinen Teil), und der Paß eingezogen. Sobald er 200.- Dollar vorbeibringe, könne er ihn wieder haben, meinte der Offizier.
Die Beschreibungen der afghanischen Gefängnisse waren wirklich krass. Angeblich bekam man dort nichts zu essen und wer keine Verwandten hatte die für Nahrung sorgten, hatte schlechte Karten.
Nun, Geschichten hört man viele und ich weiß nicht was davon wahr ist und was nicht, daß aber die Korruption in Afghanistan allgegenwärtig war ist eine Tatsache. Die Briefe wurden tatsächlich abgetastet wie ich bestätigen kann. Wußte ich doch schon vorher, daß außerhalb Europas ein Brief nur dann eine Chance hatte die Heimat zu erreichen, wenn man ihn persönlich am Schalter abgab und darauf bestand, daß die Briefmarke sofort abgestempelt wurde. Sonst würden die Beamten nämlich die Briefmarke vom Brief lösen und erneut verkaufen. Stets betasteten die Postler meine Briefe.
Da es in Herat keine internationale Presse gab, erfuhren wir erst in Kabul durch einen Engländer von der Erstürmung der "Landshut" am 18. Oktober durch die GSG-9 in Mogadischu. Wir besorgten uns ein gebrauchtes Exemplar der "Newsweek".
In Kabul war das Essensangebot wesentlich reichhaltiger als in Herat, oft speisten wir westlich, außer "Sigis" und "Miami" gab es noch mehrere Restaurants mit annehmbaren Hygienestandard und auch die Hotelrestaurants boten westliches Essen. Hier in der Neustadt gab es sogar eine Bäckerei in der frisches richtiges Weißbrot angeboten wurde.
Sigis Restaurant, oder kurz "Sigis", in Kabul war einer jener drei berühmten Treffpunkte, den jeder der reisenden Freaks auf dem Weg nach Indien - später "Hippie Trail" getauft - mindestens einmal aufsuchte.