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Hippie Trail - Asien |
Da wir aus Unerfahrenheit nicht für Proviant gesorgt hatten, waren wir froh, als wir bei einem der kurzen Aufenthalte an einem kleinen Bahnhof Brot und Wasser kaufen konnten, das wir brüderlich mit dem jungen Engländer in unserem Abteil, der ebenfalls nach Nepal reisen wollte, teilten. Außerdem lernten wir zwei "uralte" zwielichtige Typen kennen, die angeblich von der Weinlese in Südfrankreich kamen und was-weiß-ich für einen Job in der Türkei antreten wollten. Daß die beiden etwa 45-Jährigen schon so manchen Knast von innen gesehen hatten, war keine haltlose Vermutung, sie gaben es offen zu und es sollten fast zwei Tage vergehen bis wir die Kerle wieder los wurden. Wir brachten in Erfahrung, daß sie fast mittellos waren und sich in Deutschland nicht mehr sehen lassen durften. Die Strapazen dieser 28-stündigen Zugfahrt (immerhin hatten wir die letzten drei Tage nicht mehr richtig schlafen können) waren ein kleines Vorspiel auf das was uns noch bevorstehen sollte.
Als wir also im osmanischen Zuckerbäckerstil errichteten Sirkeci-Bahnhof von Istanbul eintrafen, hefteten sich die beiden an unsere Fersen, eine Geldquelle witternd. So kam es, daß wir uns in der gleichen billigen Absteige einmieteten, selbstverständlich in verschiedenen Zimmern. Dann erst mal etwas Essen und zwar im berühmten "Pudding-Shop", dem Treffpunkt aller Indienreisenden. Zu meiner Überraschung saß dort ein Bekannter mit dem ich zwei Jahre vorher die Berufsaufbauschule besuchte und der gerade auf dem Heimweg von Indien war. So saßen wir länger zusammen und lauschten den Geschichten und Ratschlägen meines Bekannten.
Am nächsten Morgen bekamen wir Besuch von unseren beiden "Freunden", aber wir verhielten uns recht abweisend.
Jetzt galt es einen Bus nach Kabul zu suchen, d.h. die verschiedenen Bus-Agenturen abzuklappern. In einer wurden wir gewarnt, es gebe keine Direktverbindung nach Kabul, alle Busse endeten in Teheran. Wir wollten uns die Sache in Ruhe überlegen und so sahen wir uns die Blaue Moschee an, allerdings nur von außen, da sie gerade renoviert wurde.
Gleich um die Ecke des "Pudding Shop" entdeckten wir eine noch bessere und billigere Teestube, hier führte der Wirt ein Gästebuch das jeder einsehen und beschreiben konnte. Die beiden dicken zerfledderten Bände reichten zurück bis ins Jahr 1967, als die ersten Hippies nach Indien aufbrachen und in seiner Teestube Station machten. Hunderte junger Leute aus ganz Westeuropa hatten sich und ihre Sehnsüchte dort eingetragen. "All you need is love..." war der wohl am meisten zitierte Satz. Falls der damalige Wirt diese Bände aufgehoben hat, besitzt er einen einmaligen Schatz, der das authentische Lebensgefühl der "Flower-Power" Generation wohl wie kaum ein anderer repräsentiert. Der Eintrag in meinem Tagebuch für diese Teestube lautet "Jenners", doch weiß ich nicht mehr genau ob das der Kneipenname oder ob ein Platz damit gemeint war. (Mittlerweile hat Klaus Grewe den Namen des Teestube berichtigt, sie hieß "Yannis")
Um eine weitere Ecke fanden wir ein billiges Hotel, das "Akin". Dieses war unterbelegt und eine Übernachtung kostete pro Bett 27,5 TL in einem Dreibettzimmer und so beschlossen wir, morgen hierher umzuziehen, auch um die beiden halbseidenen Gestalten endgültig loszuwerden. Am nächsten Tag also der Umzug, dann wieder Suche nach einer günstigen Busverbindung und Sightseeing. Wir besuchten die berühmte alte Galata-Brücke und befanden uns gerade beim Rückweg auf einer der Gassen den Hügel hinauf, als wir an einer Ecke fast von zwei Kerlen umgerannt wurden. Sie waren atemlos und einer sah um die Ecke zurück.
"Sind sie noch hinter uns her?"
"Nein, ich kann jedenfalls keinen mehr sehen."
"Gott sei Dank!"
"Was ist denn mit euch los und wer ist hinter euch her?" Wollten wir wissen.
"Ach, ihr seid Deutsche! Öh,..., wir haben Streit mit ein paar Türken bekommen und mußten abhauen!"
"Sagt mal, habt ihr vielleicht ein paar Mark für uns, uns haben sie alles geklaut und wir haben Hunger. Ich bin Österreicher!"
"Tja, wenn ihr Hunger habt, können wir euch helfen, aber Knete ist nicht!"
Wir kauften bei einem der fahrenden Brothändler für jeden zwei Sesamkringel, die sie auch hungrig zu verschlingen begannen und setzten dann unseren Weg fort.
So langsam mußten wir uns entscheiden, wir hatten ein gutes Angebot für eine Busfahrt nach Kabul und so beschlossen wir die Warnung des einen Reisebüros in den Wind zu schlagen und den am Mittwoch gehenden Bus nach Kabul zu nehmen. Die Fahrt sollte etwa 110.-DM kosten, während eine Fahrt nach Teheran etwa mit 50.-DM zu Buche schlagen sollte. Also kauften wir die Fahrkarten, tranken noch ein Bier im "Pudding Shop" und Tee in der "Hippiestube" und gingen dann zurück ins Hotel.
Wir hatten mit unserem Wirt vereinbart das Dreibett-Zimmer trotz des Einzelbett-Preises alleine zu bewohnen. In dieser Nacht wurden wir durch energisches und lautes Klopfen unsanft aus dem Schlaf geschreckt. Es war der Herr Wirt der uns beehrte, er habe noch einen Gast und unser Zimmer sei das Einzige das noch ein Bett frei hätte.
"Aber wir hatten ausgemacht, daß wir das Zimmer alleine bewohnen werden!"
"Ihr könnt euch ja ein anderes Hotel suchen, ich jedenfalls werde das Bett an diesen Gast vermieten!"
Es war etwa 2 Uhr nachts und so blieb uns nichts als uns zu fügen. Der Wirt ging nach unten und der Gast kam herauf.
Wir staunten, das war ja der Österreicher vom letzten Nachmittag!
Wir waren müde und schliefen bald weiter.
Als ich erwachte blieb ich, wie ich es seit jeher gerne tat, ruhig liegen um noch etwas zu dösen. Bald zeigten die Geräusche, daß auch der Österreicher erwacht war. Er richtete sich im Bett auf.
"Hey, gibst du mir ein paar Tropfen ab?"
"Tropfen? Was für Tropfen?"
"Na da, von deinem Valeron!"
Damit deutete er auf das kleine Nachttischchen neben meinem Bett. Ich begriff immer noch nicht.
"Was soll da sein?"
"Na deine Flasche, ich sehe sie doch, du hast so viel, da kannst du sicher etwas abgeben!"
Jetzt sah ich genauer hin, auf der unteren der beiden Stellflächen stand ganz hinten eine ziemlich große Arzneiflasche mit blauen Etikett. Ich holte sie hervor, tatsächlich, "Valeron" stand auf der großen fast vollen Flasche im Krankenhaus-Format.
"Na gut, du kannst ein paar Tropfen haben."
"Wieviel, hundert,... hundertzwanzig,...?"
"Hundert!"
"Und mein Freund, den hat der Wirt in ein anderes Zimmer quartiert, kriegt der auch was?"
"Also gut!"
Er ließ sich dieses "veredelte" Opium mangels Gefäß direkt in den Mund tropfen und zählte die Tropfen für seinen Kumpel auf die zusammengepresste Handfläche ab, woraufhin er verschwand.
Werner war natürlich längst erwacht und wir lachten uns an.
"Sollen wir die Flasche verkaufen, die bringt unter Brüdern bestimmt hundert Märker?"
"Ja, aber ich weiß nicht, die haben doch keine Kohle und wer weiß schon was in dieser geöffneten Flasche wirklich drin ist!"
Damit hatte er allerdings recht, auch wenn uns 100 Mark gut getan hätten, das Geld für unsere Reise war von Anfang an sehr knapp bemessen.
Es ist immer eine gute Idee, den Umgang mit Junkies auf das Notwendigste zu reduzieren. Wie erwartet, tauchte der Österreicher nach relativ kurzer Zeit wieder auf.
"Hör mal, du scheinst gute Beziehungen zu unserem Wirt zu haben!"
"Ja ich kenne ihn schon lange."
"Wir haben mit dem Wirt abgemacht dieses Zimmer alleine zu bewohnen, meinst du, du könntest ihn überreden, daß das auch eingehalten wird?"
"Beim Wirt habe ich noch was gut!"
"Was bezahlst du für die Flasche?"
"Ich habe kein Geld, ja nicht mal einen Paß, den habe ich bei meiner Botschaft verwahren lassen. 200 oder 300 Lira könnte ich vielleicht auftreiben. Aber... ihr wollt doch das Zimmer alleine haben und gebt mir dafür die Flasche?" Fragte er hoffnungsfroh.
Auf den Kopf gefallen war er ja nicht. Es war sehr wahrscheinlich, daß dieser Mensch mit der hier ungewohnt allgegenwärtigen Polizei zusammenarbeitete, sonst wäre er schon lange im Knast gelandet. War es Zufall oder hielt er Wort, jedenfalls hatten wir das Zimmer bis Mittwoch wirklich alleine.
Diese Zeit in der großen Stadt Istanbul zu verbringen fiel leicht. Es war sehr interessant, wenn mir auch die dortige Atmosphäre trotz eines späteren Besuches niemals gefallen hat.
Was die Geschäftsleute betrifft, fast allesamt Schlitzohren und die anderen Istanbuler waren auch nicht gerade besonders zuvorkommend.
Wir besichtigten die Sehenswürdigkeiten am Sultanahmet-Platz und ein paar Mal spazierten wir hinunter ans Goldene Horn. Unter der breiten Fahrbahn der Galata-Brücke, die auf Pontons schwamm und deshalb eigentlich gar keine echte Brücke war, befanden sich viele Restaurants und Teestuben, in denen zumeist ältere Türken beisammen saßen und aus großen Wasserpfeifen schmauchten. Bei der Brücke herrschte reger Boots- und Schiffsverkehr und viele Istanbuler kauften ihren frischen Fisch direkt von den vertäuten Fischerbooten, in denen diese auch nach Aufforderung gleich ausgenommen und küchenfertig zugeschnitten wurden. Einige der in der Nähe der Brücke liegenden kleinen Restaurants akzeptierten seltsamerweise keine ausländische Kundschaft und wiesen uns ab. Im wahrsten Sinne des Wortes "fahrende Händler" rollten Verkaufs- und Grillstände durch die Straßen und öfters stillten wir unseren Hunger mit den aufgeschnittenen kleinen Broten, die, mit fremdartig gewürzten gegrillten Frikadellen und Salat gefüllt, dort angeboten wurden. (Ein "Döner Kebab" im Fladenbrot sollte ich erst zwei Jahre später in Berlin zum ersten Mal essen.) Die bunten, in knalligem Rot, Grün und sonstigen Farben leuchtenden Süßspeisen, die in den Auslagen der Zuckerbäcker lagen, mieden wir, da wir hier auf chemische und womöglich sogar giftige Lebensmittelfarben tippten.
Durch den Anblick der Moscheen mit ihren schlanken Minaretten fühlten wir uns bereits in den tiefsten Orient versetzt, obwohl noch alle Menschen Kleidung trugen, wie sie auch in Europa üblich war. Doch im späteren Rückblick, als wir dann im wirklichen Orient waren, sollte uns Istanbul als europäische Stadt erscheinen.